Dienstag, 29. Oktober 2013

Ich saß neulich im Zug von München nach Hause. Ich war alleine unterwegs, nach Hause vom Praktikum und hatte mein Buch vergessen. Ich stöpselte mir meine Musik in die Ohren und schaute mich um. Viele um mich rum lasen, telefonierten oder starrten aus dem Fenster oder wie ich in das Abteil. Ich holte mein Paperblank und einen Kuli raus und schrieb was ich sah.
Das mache ich oft. Einfach schreiben was ich sehe, und mir die Geschichte denken, die dahinter stecken könnte. Ich schrieb über das Mädchen, was mir gegenüber saß, etwa in meinem Alter. Sie blickte mit starrem Blick auf sein Handy, eine kleine Träne die über ihre Wange rollte, wurde ärgerlich weggewischt. Dann verhärteten sich ihre Gesichtszüge. Dann steckte sie ihr Handy in ihre Tasche, und sie tat so, als würde sie schon die ganze Zeit nichts anderes tun, als aus dem Fenster zu schauen.
Ich überlegte, was ihr passiert sein könnte. Hatte ihr Freund mit ihr Schluss gemacht? Hatte ein Junge, der nicht ihr Freund war, von dem sie es aber gerne hätte, ihr etwas für sie Trauriges erzählt, zum Beispiel dass er sich in jemand anders verliebt hat und glücklich ist?
Oder spielten ausnahmsweise mal Jungs gar keine Rolle? War etwas in ihrer Familie geschehen, ein Todesfall oder eine Scheidung oder ein Streit oder..... Es gibt so viele Möglichkeiten.

Hinter dem Mädchen und einer dicken Plexiglasscheibe saß ein Mann, der telefonierte. Ich konnte nicht hören, was er sagte, aber er war wild am Gestikulieren. Mit wem unterhält er sich? Worüber?

Man sieht so viele Dinge. So viele alltägliche Dinge. Ich sehe jeden Tag jemanden im Zug, der weint oder telefoniert oder gestikuliert oder liest oder eben nicht. Aber die Menschen, die ich so sehe, sind nicht immer dieselben. Würde mich jemand beobachten, er würde sehen, dass ich nicht immer diejenige bin, die schreibt. Die ihr Buch vergessen hat. Die über der Isar innehält um rauszuschauen. Das alles sind Momentaufnahmen, kleine Dinge, die ein Mensch am anderen wahrnimmt. Aber sie sagen nichts aus über den Menschen dahinter. Man muss einen Menschen sehr gut kennen, um über all seine Facetten Bescheid zu wissen. Nur weil jemand einmal einen schlechten Tag hat und ich ihn genau dann treffe, heißt das nicht, dass er nicht morgen schon wieder einen guten Tag hat, wenn ich ihn nicht mehr treffe.

Selbst wenn du einen Menschen sehr gut kennst- merke dir eins: Du weißt immer nur so viel, wie die Person dich wissen lässt- nicht mehr.

L.

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