Dienstag, 16. Oktober 2012

Leyla und Lars

 Leyla

 
Dies ist eine Geschichte über gelungene Fehlkommunikation. Falls ihr nicht wisst, was das ist, Kommunikation war das, was man gemacht hat, als man noch persönlich miteinander geredet hat und sich dabei live und in Farbe sehen konnte.
Es war einmal ein Mädchen namens Leyla. Sie besuchte die achte Klasse eines Gymnasiums in Bayern. Leyla war etwas moppelig, aber nicht entstellend oder so. Ihr Gesicht war hübsch. Die paar Pickel auf der Nase, am Kinn oder an der Stirn fielen kaum auf. Sie selber fand sich allerdings nicht besonders schön. Das wusste aber keiner. Aber auch sonst war Leyla unauffällig. Sie trug keine aufregenden Markenklamotten. Sie trug nur viele Accessoires wie Armbänder, Haarbänder und Haarspangen,aber die passten zu ihr. In der Schule war sie gut, lies andere ihre Hausaufgaben abschreiben. Man konnte fast meinen, es war ihr egal, denn sie sagte kaum etwas. Natürlich hatte sie Freundinnen, mit denen sie redete, aber denen vertraute sie kaum etwas an. Leyla war generell ein ziemlich stilles Mädchen. Sie hatte ihre eigene Meinung und konnte auch „Nein“ sagen, wenn sie wollte. Sie wollte aber meistens nicht. Ihre Unauffälligkeit führte wohl dazu, dass keiner sie fragte, warum nicht. Aber Leyla hätte die Frage wohl sowieso nicht gehört. Wenn sie gerade nicht selber Klavier spielte, hörte sie Musik. Ihren eigenen Geschmack, gar nicht unbedingt das, was gerade modern war. Überhaupt machte sie das, was ihr gefiel. Es interessierte sie nicht, was andere von ihr dachten. Allerdings interessierte es auch keinen, was sie dachte. Doch eines Tages traf sie Lars.
Lars war nicht so wie die anderen. Lars fragte nach, warum sie in der Mittagspause nicht mit den anderen wegging, sondern lieber allein irgendwo saß, Musik hörte und ein Buch las. Lars wollte wissen, was hinter dem dunklen Pony vorging. Leyla war so überrascht und beeindruckt von dem strohblonden, kleinem Elftklässler, dass sie begann, mit ihm zu reden. Sie erzählte ihm unter anderem von ihrem größten Traum: Nach dem Abi eine Weltreise, so ähnlich wie Work & Travel. Lars wusste nach einiger Zeit sogar über Al und PJ Bescheid, mit denen Leyla nach Gerüchteküche der Schule abwechselnd, wenn nicht sogar gleichzeitig zusammen war.
Das stimmte natürlich nicht. Mit Al war sie in der Fünften mal drei Monate zusammen gewesen, das hatte sich aber in den Sommerferien im Sand verlaufen. Aus Scham hatten sie die beiden danach fast anderthalb Jahre kein einziges Wort miteinander geredet. Das wäre wohl auch so geblieben, hätte sich Leyla nicht mit Jana als Mutprobe darauf eingelassen, mit Al zu reden. Egal worüber, einfach nur reden. Doch Leyla verstand sich auf Anhieb wieder so gut mit Al und PJ, dass die eifersüchtige Jana die Gerüchteküche natürlich weiter anheizte. Doch das störte die Freundschaft zwischen den beiden Jungs und Leyla kein bisschen. Sie fuhren weiterhin gemeinsam Zug, gingen sich in der Schule aber trotzdem aus dem Weg.
All das erfuhr Lars in einer dreiviertelstündigen Mittagspause. Leyla konnte es kaum fassen: Lars hatte an keinem Punkt über sie geurteilt, nur ab und zu nachgefragt. Leyla glaubte schließlich, endlich jemanden gefunden zu haben, dem sie vertrauen konnte. Klar, da waren Al und PJ, aber was Geheimnisse anging, dazu kannten deren Eltern Leylas zu gut. Doch für Lars war Leyla mehr als nur eine Freundin. Sie sollte seine verflossene Jugendliebe werden, aber das wusste er da noch nicht. Nein, er deutete Leylas Signale komplett falsch. Und hier haben wir es, das Kommunikationsproblem.
Leyla bemerkte Lars' Verhalten. War auch nicht schwer. Anmachsprüche wie beispielweise „Na, dich würde ich nicht von der Bettkante stoßen“ konnte man wohl auch gar nicht anders deuten. Jedenfalls berichtete sie irgendwann Al und PJ, die eigentlich Alexander und Piedro Jasikusov hießen, von Lars. PJ schlug vor, ihm einfach ins Gesicht zu sagen, was sie dachte. Leichter gesagt als getan. Aber Leyla versuchte es. Dreimal. Dreimal sagte sie Lars, dass sie ihn zwar als Freund schätzte, aber ganz und gar nicht in ihn verliebt war. Ein viertes Mal wollte sie das nicht tun müssen. Sie bat Al und PJ also wieder um Hilfe. Doch die wussten auch keinen Rat mehr. Als sie eines Tages in der Pause doch alle drei zusammen standen, rief Al auf einmal nach Lars. Leyla ahnte, was jetzt kommen würde. Sie tat das Schlimmste, was sie in dieser Situation hatte tun können: Sie lief einfach weg,
Als Lars sie am Nachmittag auf Facebook anschrieb, chattete sie auch gerade mit Al. Jedes Wort sprach sie mit ihm ab. Sie wusste nicht, was sie schreiben sollte. Lars wertete es als „Ja“ als Antwort auf die Frage, ob es stimme, was Al gesagt habe. Leyla fühlte sich so schlecht, dass sie mehrmals kurz davor war, sich bei ihm zu entschuldigen, wovon Al und PJ sie auch nur mit Müh und Not abhalten konnten. Was Leyla nicht wusste: Al hatte Lars folgendes geschrieben: 

"Lars, ich weiß dass du das nicht hören magst, aber es stimmt, was ich dir gesagt habe. Leyla beschwert sich fast täglich. Aber sie ist zu gutherzig um es dir zu sagen. Deshalb habe ich versucht es dir zu sagen. Bitte geh ihr einfach aus dem Weg in der nächsten Zeit. Sorry, aber du bist einfach nicht ihr Typ!"
 

Leyla war Al sehr dankbar dafür. Sehr sehr dankbar. Denn so war sie raus aus der Nummer. Trotzdem tat es ihr Leid, dass Lars es so erfahren musste. Aber prinzipiell wollte sie es ja genau so. Wenn sie jetzt nicht wollte, dass alles wieder von vorne anfing, musste sie es wohl oder übel dabei belassen.
Ein gutes hatte die ganze Geschichte aber: PJ, Al und Leyla machten jetzt auch in den Pausen und nachmittags öfter was zusammen. Leyla hatte viel gelernt. Eine Sache war, dass manchmal erst Dinge kaputt gehen müssen, damit man andere wertschätzen lernt. Eine andere Sache war, dass Leyla den Menschen um sich herum traute. Sie lernte, dass sie nicht alles hinnehmen konnte. Und soe sah ein, dass man Freunde brauchte, die einen aufbauten und unterstützten. Denn sie wusste nicht, was sie ohne PJ, Al und die Mädels gemacht hätte.

Das war im März. Jetzt, im neuen Schuljahr im Oktober, sah die Welt für Leyla schon wieder anders aus. Sie hatte immer noch ein schlechtes Gewissen, und schämte sich fast noch mehr. Also grüßte sie Lars wieder, wenn sie ihn auf den Gängen traf und  lächelte, sobald sie ihn sah, obwohl sie am liebsten im Boden versunken wäre. Doch Lars schien nicht, als wäre er sauer. Leyla war froh darüber, denn sie hatte schon wieder ganz andere Probleme. Doch dazu ein anderes Mal.



L.

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